|
Under
Milk Wood - A Play for Voices
Unter dem Milchwald - Ein Spiel für StimmenGB 1988
Regie: George Martin / Produzent: George Martin
Mit: Anthony Hopkins (First Voice), Jonathan Pryce (Second Voice), Freddie Jones (Captain
Cat), Tom Jones (Mr Waldo), Mary Hopkin (Rosie Probert) u.a
Der walisische Dichter Dylan Thomas, für seine Gedichte
und Prosastücke berühmt, erhielt 1945 von der BBC den Auftrag, ein Hörspiel zu
schreiben. So entstand Under Milk Wood - A Play for Voices, das heute zu den
wichtigsten und erfolgreichsten Werken des Walisers zählt. Die fertige Fassung wurde im
Januar 1954 unter der Mitwirkung Richard Burtons, der den Hauptpart der Ersten Stimme
sprach, zum ersten Mal im Radio gesendet und noch im gleichen Jahr mit dem bedeutenden
Hörspielpreis, dem Prix Italia, ausgezeichnet. Dylan Thomas sollte den Welterfolg von Under
Milk Wood jedoch nicht mehr erleben; Er war zwei Monate vor der bahnbrechenden
Erstausstrahlung des Stücks im Alter von 40 Jahren gestorben.
Im Jahr 1988 wagte sich Produzent George Martin, der unter anderem auch die Beatles
produziert hatte, an eine aufwendige und vollständige Neuaufnahme des Hörspiels. Er
legte Wert darauf, daß die fast 70 Rollen oder Stimmen, die in Under Milk Wood
zu Wort kommen, ausschließlich von walisischen Künstlern gesprochen werden. (Wirft man
demnach einen Blick auf die Besetzungsliste, wundert es nicht, daß die vielen Sprecher
hauptsächlich Nachnamen wie Jones, Davies oder Thomas tragen!) Laut George Martin wurde
das Projekt jedoch erst möglich, als Anthony Hopkins Interesse bekundete, den Hauptpart
der Ersten Stimme, die 34 Jahre zuvor Richard Burton gesprochen hatte, neu zu beleben.
Nach Hopkins' Zusage konnte der Produzent dann weitere berühmte Waliser verpflichten:
Freddie Jones, Mary Hopkin, Sir Harry Secombe, Tom Jones, Bonnie Tyler - um nur einige
wenige zu nennen...
Die Handlung von Under Milk Wood läßt sich schwer zusammenfassen; Nicht etwa,
da dies zu kompliziert wäre, sondern vielmehr, weil Under Milk Wood eigentlich
keine "richtige" Handlung besitzt. Wie der Untertitel A Play for Voices
bereits andeutet, handelt es sich um eine Art lyrisches Sprach- bzw. Sprechspiel.
Im Mittelpunkt des Spiels steht die fiktive, walisische Hafenstadt Llareggub und deren
Einwohner. Den Handlungsrahmen bildet ein einziger Frühlingstag, wobei zweifelsohne James
Joyces Ulysses Pate für diese 24-Stunden umfassende Alltagsschilderung war.
Under Milk Wood beginnt in einer mondlosen Nacht. Die Bewohner der kleinen Stadt
schlafen noch, doch die kommentierende Erste Stimme begleitet den Hörer durch "die
großen Seen ihrer Träume". Nicht nur die Träumenden melden sich nun nach und nach
zu Wort, auch die Toten, Ertrunkene, beginnen in der Nacht zu sprechen: "Wie
gehts bei euch oben? Wer melkt die Kühe in Maesgwyn? Wie riecht bloß
Petersilie?"
Als der Morgen anbricht, tritt die gesamte Einwohnerschaft Llareggubs einer nach dem
anderen auf, teilweise in Monologen, teilweise in Dialogen, stets von der Ersten Stimme
einleitend kommentiert. Sonderlinge sind sie alle, angefangen vom blinden Captain Cat bis
hin zum Möchtegern-Giftmörder Mr.Pugh.
"Meine Metapher ist der Mensch," erklärte Dylan Thomas. In Under Milk Wood
will er die Einwohner seines erfundenen Llareggubs "enthüllen", "noch mehr
an verborgenen Ursachen ans Tageslicht heben, als Freud es vermocht hat".
Mittag und Nachmittag sind kürzer als die Nacht unter dem Milchwald. Die Erste Stimme
warnt den Zuhörer: "Die Zeit vergeht. Horch, die Zeit vergeht." Die Dämmerung
leitet zum Abend über: "Mit einem Mal ist Nacht. Die finstere Stadt ist ein Hügel
von Lichtern, und von den windgeschlagenen Wellen herauf rufen die Lichter der Lampen in
den Fenstern den Tag zurück und die Toten, die hinausgefahren sind auf die See."
Under Milk Wood endet schließlich, als "der plötzlich vom Wind gerüttelte
Wald erwacht zum zweiten dunklen Male an diesem einen Frühlingstag."
Ich muß gestehen, daß ich die 54'er Fassung von Under
Milk Wood, in der Richard Burton die Erste Stimme spricht, nicht kenne. Nachdem ich
mir jedoch die Aufnahme mit Anthony Hopkins mittlerweile mehrmals gründlich und
genüßlich zu Gemüte geführt habe, kann ich mir das Anhören der frühen
Burton-Interpretation sicherlich getrost ersparen. Denn es ist nur schwer vorstellbar,
daß er es besser machte als Hopkins!
Besonders die erste halbe Stunde (der insgesamt ungefähr zwei Stunden dauernden Aufnahme)
hat es in sich; Wenn Hopkins' einschmeichelnde und wundervoll sonor und klangvoll
vorgetragene Erste Stimme den Zuhörer durch die Träume der Bewohner Llareggubs führt,
gerät man selbst unweigerlich ins Träumen. Kalte Schauer, die einem über den Rücken
laufen, sind ebenfalls keine Seltenheit.
Übrigens wollte Produzent George Martin nicht darauf verzichten, in dieser Neuaufnahme
auch die musikalischen Elemente von Under Milk Wood unterzubringen. Von Mark
Knopfler und Elton John unterstützt, komponierte er einige Lieder zu den im Hörspiel
enthaltenen Liedtexten. Als Interpreten sind Bonnie Tyler (die ihre Aufgabe erstaunlich
gut macht), sowie Tom Jones zu hören. Doch auch das an Kurt Weills Brecht-Lieder
erinnernde "Love Duet" zwischen Captain Cat (Freddie Jones) und Rosie Probert
(Mary Hopkin) verdient eine besondere Erwähnung. Das Hauptthema wurde vom Dire
Straits-Frontmann Mark Knopfler eingespielt.
Die Faszination von Under Milk Wood beruht jedoch in der Hauptsache auf der
poetischen Kraft des teils provokativ-humorvollen, teils tragikomischen Textes selbst.
Wenngleich es nahezu unmöglich ist, Dylan Thomas' melodischen Sprachwitz ins Deutsche zu
übersetzen, empfehle ich dennoch - der besseren Verständlichkeit halber - die vorherige
Lektüre der deutschen Übersetzung (u.a. als Reclam-Heft erschienen). Auf diese Weise gut
vorbereitet, sollte man sich Under Milk Wood dann am besten über Kopfhörer in
einer mondlosen Nacht anhören, Anthony Hopkins folgend "into the big seas of their
dreams"...
© 1994 by Bettina B.
(Hopkins Files Nr.10) |
|